Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise –

warum?

Es ist fast schon ein Ritual geworden. Wir wollen im Restaurant bestellen und fragen:
„Wir möchten gerne alle Speisen zwischen uns teilen. Geht das bei Ihren Gerichten?“
Antwort: „Nein, eigentlich nicht“

„Wir möchten aber gerne viele verschiedene Gerichte probieren. Deshalb unser Wunsch nach halben Portionen“
Antwort: „Dann nehmen Sie doch ein Menu, da sind die Portionen kleiner“

„Wir würden aber gerne die Speisen und die Reihenfolge selber zusammenstellen. Und wir möchten lieber auf den „großen“ Hauptgang  verzichten“
Antwort: „Nein, das kann die Küche nicht leisten“

Mir ist sehr wohl bewusst, was in einer Restaurant-Küche geleistet wird und was für eine logistische Herausforderung hier, neben der eigentlichen  Kochkunst, Abend für Abend bewältigt wird. Und dennoch, die asiatischen Küchen kennen fast nur kleinere, sich auf ein Produkt konzentrierende Gänge, die man sich selbst zusammenstellt. Sie werden einzeln, hintereinander serviert, oder – wenn es große Gruppen sind – werden nach und nach fertige Gerichte auf die große Drehplatte auf den Tisch gestellt. Jeder wählt aus und isst genau so viel von einem Gang, wie er möchte.

Wenn wir heute ausgehen, geht es ja nicht mehr primär darum, den großen Hunger zu stillen. Sondern man möchte etwas Besonderes genießen und die Küche des ausgesuchten Hauses erkunden, oder den badischen Klassiker, bestens gekocht, mit seinem typischen Geschmack genießen. Ob es jetzt die großen Kochkünstler sind, oder eine einfach gute Landgaststätte, wie oft habe ich schon gedacht, ich würde jetzt gerne den Wurstsalat, den Ochsenmaulsalat, den Rindfleischsalat, den Bibliskäse und einen kleinen gemischten Salat in Probiergrößen bestellen und danach vielleicht noch ein kleines Schnitzel mit hausgemachtem Kartoffelsalat. Und dann erst die Entscheidungsfrage im gehobenen Spezialitätenrestaurant, wo man sich ob der vielen Verlockungen in der Speisenkarte fast nicht entscheiden kann und so vieles gerne probieren möchte.

Mein Traum ist eine Speisenkarte mit kalten und warmen Speisen, mit Salaten und Suppen, mit Gemüsen und Fleisch und Fischgerichten, die es alle in Probiergrößen oder Normalportionen gibt und die ich mir selber zusammenstelle, gerne nur tischweise, so wie ich sie essen möchte. Natürlich gibt es solche Angebote längst und die Tapasküche Spaniens ist auch nichts anderes, aber in der Breite huldigt man immer noch der starren Vorspeise-Hauptgang-Nachspeise-Regel. Und das Wort „Sättigungsbeilage“ bringt mich innerlich fast auf die Palme. Ich komme nicht ins Restaurant um eine „Sättigungsbeilage“ zu mir zu nehmen. Warum werden Beilagen eigentlich nicht separat angeboten, mit eigenen Preisen?

Bereits vor 30 Jahren haben wir in Frankreich im legendären 3-Sterne-Restaurant „Les Crayeres“ von Cherard Boyer in Reims die freudige Bereitschaft erlebt, dass alle Gerichte auf der Karte, alle Gerichte, auch als halbe Portionen serviert wurden und der Gast so mehr Köstlichkeiten probieren konnte. Die Gäste konnten sich, natürlich tischweise, ihr individuelles Vier-oder Sechs-Gang-Menü zusammenstellen, mit zwei kleinen Vorspeisen, zwei kleinen Hauptgängen und zwei kleinen Desserts. Das war bei Boyer selbstverständlich.

Nicht nur die Pandemie hat insbesondere die Top-Gastronomie dazu veranlasst, sich heute ganz auf Menüvorschläge zu konzentrieren. Das ist eine richtige Entwicklung, weil ich so die Chance habe die großartige Küche der Meister*innen zu erleben. Auch manche kleineren Häuser bieten inzwischen nur noch saisonal wechselnde Menüs an. Oft mit großem Erfolg, insbesondere wenn die Küche eine ausgeprägte eigene Handschrift hat.

Aber in der großen Breite ist hier noch viel Luft nach oben. Die mögliche Vielfalt der einfachen bis hin zur Sternenküche ist das, was heute viele Genießer erkunden möchten. Kreative Lösungen sind gefragt.

In diesem Sinne ... Guten Appetit!

Christian Hodeige    

 
Christian Hodeige